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1943
Am 17. April wird Stefan Eisermann in Rostock geboren. Der Vater, Ludwig
Eisermann (1910–1981), befindet sich wegen »Hochverrats« in Untersuchungshaft,
ab 1944 in einer Strafkompanie und dann bis 1946 in amerikanischer
Kriegsgefangenschaft. Die Mutter, Gertrud Eisermann (geb. 1917), wird mit den
Kindern nach Reppentin südöstlich von Rostock evakuiert.
1945
Rückkehr der Familie nach Rostock.
1946
Nach der Entlassung beginnt der Vater seine politische Karriere als
Kulturfunktionär im Kreis Rostock und bei der Landesregierung Mecklenburg.
1949
Stefan Eisermann wird in Rostock eingeschult.
1950
Umzug nach Kleinmachnow, wo die Mutter an der Parteihochschule studiert. Wegen
der Trennung der Eltern (die Scheidung erfolgt 1951) und des Studiums der Mutter
leben die Kinder für zwei Jahre in einem Kinderheim.
1952
Umzug nach Rostock. Die Mutter arbeitet beim Rat des Bezirkes Rostock. »Eisermann
stellte sich in der dritten oder vierten Klasse die Frage, wie es wohl sei,
Rentner zu sein. Diese Leute beneidete er, sie hatten Zeit und beschäftigten
sich mit Dingen, die ihnen Freude bereiteten. Er dagegen mußte in die Schule, […
hat dort] immer geträumt, war abwesend und nahm dadurch den Stoff nicht
durchgängig auf. Er erfüllte aber auch die Erwartungen der Mutter nicht und war
oft das schwarze Schaf, ob in der Familie oder später im Betrieb.« (Berit Grötz,
Stefan Eisermann. Mit sich selbst seine Bilder malen)
1958
Stefan Eisermann beginnt eine Lehre als Maschinenschlosser im VE Fischkombinat
Rostock. Er entwickelt dabei ein Handwerkerethos, das bis zum Schluß, auch für
sein künstlerisches Schaffen, bestimmend bleibt.
1960
Heirat der Mutter mit Hans Warnke (1896–1984). Warnke war 1920 Gründungsmitglied
der KPD in Güstrow, nach 1933 im Widerstandskampf und mehrfach verhaftet. Er ist
Leiter der Rostocker Hafenbehörde und später Mitglied des ZK der SED.
Stefan Eisermann wächst also nach wie vor in einem genuin – und keineswegs aus
Opportunität – kommunistischen Umfeld auf. Dennoch läßt er sich davon nicht
vereinnahmen und praktiziert unabhängiges Denken und Handeln.
1961
Abschluß der Lehre und Beginn des Wehrdienstes, den er in Eggesin-Karpin als
Panzerfahrer bei der Nationalen Volksarmee der DDR absolviert.
1963
Nach dem Ende der Armeezeit Arbeit als Maschinenschlosser in der Neptunwerft in
Rostock.
1964
Heirat mit Karin Breske. Am 4. September wird die Tochter Mandy geboren.
Eisermann beschäftigt sich intensiv mit preußischer Geschichte, Friedrich II.,
historischen Uniformen und Waffen.
Mutter und Stiefvater pachten ein Grundstück in Graal-Müritz, auf dem ein
Bungalow errichtet wird. Eisermann reist – später auch um zu malen – bis 1998
regelmäßig mit der Familie oder allein dorthin.
1965
Beginn der Arbeit als Betriebsschlosser im VEB (K) Fortschritt in Rostock.
1969
Umzug in eine andere Wohnung und Einrichtung einer Dunkelkammer. Beschäftigung
mit Photographie. Im Keller baute er sich eine Holzwerkstatt mit Drechselbank.
Eisermann beginnt mit Laubsägearbeiten. Es entstehen bemalte Figuren aus dem
Themenkreis seiner historischen Interessen.
1975
Seine ein Jahr ältere Schwester, Irene Dietrich, die in Potsdam als Kostüm- und
Bühnenbildnerin am Hans-Otto-Theater und später freiberuflich als Malerin tätig
ist, regte ihn zu ersten Malversuchen an. Er malt zunächst mit Eitempera, dann
auch mit Ölfarben auf Sperrholz. Die kleinen naiven Bilder, thematisch im
eigenen Leben und Erleben verwurzelt, zum Teil nach eigenen Photographien
gemalt, werden in selbstgefertigte Rahmen aus Suralin gefaßt.
Eisermann reibt sich mit seinen Vorstellungen vom Sozialismus ständig an den
Realitäten im sozialistischen Großbetrieb.
1977
Ein betriebliches Disziplinarverfahren gegen Eisermann wegen des zu kurzfristig
angekündigten Versäumnisses einer Schicht verarbeitet dieser in mehreren
Bildern.
Eisermann knüpft nun Kontakte zu Künstlern, zunächst zu Vera Schwelgin und
Wolfgang Reinke, einem Malerpaar, in dessen Haus in Hirschburg zwischen
Graal-Müritz und Ribnitz-Damgarten sich häufig Künstler zur Arbeit treffen und
Ausstellungen veranstalten. »1977 kam Stefan zum ersten Mal zu uns nach
Hirschburg. Durch Vermittlung von Herrn Rix – einem Weggefährten seines
Stiefvaters, Hans Warnke, den Vera am Strand in Graal-Müritz kennengelernt
hatte. Da stand er dann eines Tages vor der Tür, mit einem Koffer und einer
Aktentasche voller Bilder. Wir verbrachten mehrere Stunden zusammen mit ihm und
seinen Bildern, sprachen über sie, fanden uns gegenseitig sympathisch und wurden
gleich Freunde. Von diesem Zeitpunkt an standen wir ständig in Verbindung.
Stefan kam häufig mit seinen neuen Bildern, seinen Freuden und Sorgen zu uns. Er
nahm in Hirschburg an unserem Leben teil und beteiligte sich an den
Ausstellungen. Er lernte in Hirschburg Max Kiesow kennen und viele andere
Künstler.« (Wolfgang Reinke, Vera Schwelgin, Stefan Eisermann in Hirschburg)
Auch zu dem renommierten staatskonformen Rostocker Maler Karlheinz Kuhn trägt
Eisermann seinen Bilderkoffer, wohl in der Hoffnung, Rat und Förderung zu
erfahren. Doch das Verhältnis bleibt von Seiten Kuhns herablassend, von Seiten
Eisermanns mißtrauisch.
1978
Im Januar wird im DDR-Fernsehen ein Film über Karlheinz Kuhn gezeigt, in dem
auch zu sehen ist, wie Eisermann in Kuhns Atelier seinen Bilderkoffer öffnet.
Der Vater Ludwig Eisermann schreibt ihm am 25. Januar: »Es ging ja, ich meine
der Teil, in dem Du auftrittst. Der Reporter hat Dich gut vorgestellt und es gab
viele Bilder von Dir zu sehen. Leider haben wir keinen Farbfernseher. […] Aber
der Kuhn ist mit Verlaub gesagt ein Ignorant. […] Ich glaube, Du solltest Dir
bei Gelegenheit einen Anderen suchen.« Der Regisseur des Films, Michael Hametner,
und der Kameramann, Klaus Freese, suchen die Bekanntschaft Stefan Eisermanns. In
dem Freundeskreis, zu dem auch Max Kiesow und Lothar Thierfelder gehören,
erscheint Eisermann ebenfalls mit seinem Bilderkoffer. Später entsteht nach
einem Photo Freeses das Bild »Raucherkollegium« als Porträt dieses Kreises.
»Stefan holte seine Bilder aus einer Tasche. – Wir waren alle aufgeregt und
beglückt von seinen schönen und klaren Bilderfindungen. […] Naiv zu denken, zu
sein, in einer dogmatischen Gesellschaft, war eine glückliche Flucht […], eine
Flucht in eine große Erweiterung, zurück zu einem ursprünglichen Denken und
Fühlen. Es stand der Wirklichkeit wie eine rettende Insel gegenüber: Denn diese
Innerlichkeit vermißten wir am meisten! […] Wir entdeckten Rousseau, den
Zöllner, oder Generalic und all die anderen jugoslawischen Maler. – So wurde
uns unsere Welt über diesen Umweg wieder spiritueller.« (Klaus Freese, 20 Jahre
ist es her …) »Ich schleppte damals Bildbände von Naiven an und erzählte ihm von
Ungarn und Jugoslawen, vom Zöllner Rousseau und vom Hallenser Heizer Albert
Ebert. Von Rousseau gab es in der Prager Nationalgalerie immerhin ein paar
Bilder, darunter sein großes Selbstporträt im schwarzen Anzug vor Hafenkulisse,
wo die vielen Schiffe alle mit ausgemalten Fahnen geschmückt sind und die Häuser
fast nur aus Fenstern bestehen. Ich sprach (selbst ganz naiv) von der innigen
Liebe der Naiven zum Detail und vom Erzählgestus naiver Bilder, der über die
vielen Details entsteht. Schönes Detail geht vor korrekter Perspektive, wurde
unser Leitspruch.« (Michael Hametner, Der Wechsel der Welten des Stefan Eisermann) Besonders mit Klaus Freese entsteht eine langjährige intensive
Freundschaft, zu der Freese mehr den intellektuellen und Eisermann mehr den
emotionalen Part beisteuert.
Bei einer ambulanten Behandlung im Krankenhaus begegnet Eisermann Harry Mohr,
der ebenfalls als autodidaktischer Maler seinen Weg sucht. Es entsteht eine
Freundschaft. Eisermann weist Mohr auf die Radiertechnik hin, die er in
Hirschburg beobachtet hat.
1979
Aufhebungsvertrag mit dem VEB Fortschritt und Arbeit als Hausmeister an der
Rostocker Kunsthalle in der Hoffnung, dort ein kollegialeres und kulturell
anregendes Umfeld zu finden. Die Beschäftigung endet nach einem halben Jahr mit
Enttäuschung über die bürokratischen und doktrinären Strukturen.
Scheidung von Karin Eisermann.
Erste Ausstellung, gemeinsam mit Max Kiesow, im Kunstkaten Ahrenshoop.
In Hirschburg trifft Eisermann mit den Malern Lutz Friedel und Jürgen Gustav
Haase zusammen. Friedel malt expressive Alltagsszenen, in denen eine
unterschwellige Brutalität spürbar wird, Haase phantasiereiche kleine, an Paul
Klee geschulte Bilder. Eisermann läßt sich zu einer Collage anregen und
registriert befriedigt die Anerkennung Haases. – Von Eisermanns Teilnahme an
einer Kulturveranstaltung im Faserplattenwerk Rostock berichtet am 2. Dezember
IM »Fred Bergo«: »Im September 1979 wur- de im Rahmen des Monats der Kultur […]
ein Künstlergespräch mit Vera Schwelgin und Wolfgang Reinke durchgeführt, zu dem
sie noch den Maler Max Kiesow (Freudenberg) und aus Rostock einen weiteren Maler
mitbrachten. […] In der Debatte wurde von allen Künstlern der Standpunkt
vertreten, wenn der Künstler ein Kunstwerk schafft und keiner versteht es, dann
ist es Sache des Künstlers, er sieht es eben so, und das muß von allen
akzeptiert werden. Der Künstler hat das Recht, nur für seine eigenen Gefühle und
Empfindungen verantwortlich zu sein, – und auch ist sein Recht, diese Gefühle
und Empfindungen so auszudrücken, wie er es für richtig hält.«
(BStU 000109)
Vermittelt durch die Schwester Irene Dietrich lernt Eisermann deren ehemalige
Kommilitonin Gitta Pelegrin und ihren Lebenspartner, den Maler Hernando Leon,
kennen. Leon ist aus dem Chile Pinochets emigriert und unterrichtet an der
Kunsthochschule in Dresden. Eisermann fährt häufig nach Dresden, um Leon zu
konsultieren. Angeregt von ihm malt er einige Bilder auf Knoblauchgrundierung,
was zu großzügigerer Formgebung provoziert.
1980
Eisermann arbeitet zeitweise für Karlheinz Kuhn, bespannt Leinwände,
transportiert Bilder usw. Dessen opportunistisches Abarbeiten von Aufträgen
unter politischen Prämissen stößt ihn ab.
Umzug in eine kleine Neubauwohnung.
Über die Sommerausstellung in Hirschburg berichtet IM »Hansen« am 10. Juli: »Stephan
Eisermann und Hans Kiesow sind mit naiven Bildern, mit Wohnstuben angenehmer
Thematik vertreten.« (BStU 000115)
Beginn der Arbeit als Hausmeister in der Gaststätte »Riga« in Rostock.
1981
Tod des Vaters Ludwig Eisermann. Am 27. August notiert Eisermann auf die
Rückseite eines Bildes: »Ich male u. denke an meinen Vater der gestern gestorben
ist. Ich habe einen Gesprächspartner verloren + bin sehr traurig.«
1982
Heirat mit Petra Marlow und Umzug in eine gemeinsame Wohnung.
Über die Sommerausstellung in Hirschburg heißt es am 27. September bei IM
»Grün«: »Man kann die im Sommer dieses Jahres stattgefundene Ausstellung im
Prinzip als sozialistischen Realismus bezeichnen. Es waren vor allem von Seiten Eisermann, Schwelgin, aber auch Reinke Arbeiten, die ihre Umwelt
widerspiegelten.«
(BStU 000079)
Eisermann stellt einen Aufnahmeantrag beim Verband Bildender Künstler der DDR,
Bezirk Rostock. Die Mitgliedschaft ist Voraussetzung für eine freiberufliche
künstlerische Tätigkeit, erleichtert aber auch den Zugang zu importierten Farben
und Werkzeugen. Außerdem bedeutet die Aufnahme für einen Autodidakten natürlich
den wichtigen Schritt der offiziellen Anerkennung seines Bemühens. Eisermann
wird am 11. November schon auf der ersten Stufe der Aufnahmeprozedur von der
Sektion Malerei/Graphik abgelehnt. Auf der Rückseite eines der eingereichten
Gemälde, »Die Frau mit Hund und Schwan«, notiert er die Kommentare: »Zitat
Jürgen Weber: ›Gug Dir doch mal diesen Flatsch (die Nackte) an‹ – zu Hannes
Müller […]. Manfred Zoller zu mir: ›Der violette Fleck geht nicht‹.«
1983
Zeitweise Arbeit in der Kunstgießerei Kuschel, Rostock. »Es faszinierte ihn,
Wachsformen aufzubauen und diese dann in Bronze zu gießen. Nach einer gewissen
Zeit zerschlug sich auch diese Arbeit.« (Berit Grötz, Stefan Eisermann. Mit sich
selbst seine Bilder malen)
Erster Besuch im neuen Wohnsitz von Klaus und Birgit Freese in Neu Heinde
zwischen Rostock und Teterow, wo er sich seitdem häufig aufhält.
Eisermann erhält vom Finanzamt Rostock eine Steuernummer für Kunstgewerbe, was
ihn wenigstens davor schützt, bei fehlender Anstellung als »asozial« eingestuft
zu werden.
Der Erwerb einiger Tropenhölzer fordert seine handwerklichen Fähigkeiten heraus.
Es entstehen bemalte Reliefs mit gedrechselten Elementen. Außerdem befaßt er
sich erstmals mit der Kohlezeichnung.
1984
Tod des Stiefvaters Hans Warnke. Eisermann malt das Bild »Der tote Kommunist
Hans Warnke«.
Scheidung von Petra Eisermann.
Eine Bewerbung beim Fernsehfunk, Ostseestudio Rostock, wird abgelehnt. Für ein
Vierteljahr arbeitet Eisermann als Möbelträger und zweiter Kraftfahrer beim
Möbelhaus Behrmann, schließlich als Werkstattarbeiter und Platzwart in der
Sektion Sportwissenschaft der Universität Rostock.
1985
Die Schwester, Irene Dietrich, lebt in Potsdam seit 1981 mit Harry Mohr
zusammen, den sie durch Eisermann kennengelernt hat. Dieser hat seinerseits bei
Besuchen in Potsdam bereits viele Bekanntschaften geschlossen, u. a. mit der
Maskenbildnerin Veronika Palfi. Zu ihr zieht Eisermann nach Potsdam und bewirbt
sich am Hans-Otto-Theater als Requisiteur. Aus Rostock erteilt der
Staatssicherheitsdienst der Potsdamer Dienststelle am 19. September Auskunft
über Eisermann: »Erfassg. da E. jahrelang versucht Verbandsmitgl. (Bild.
Künstler) zu werden, naiver Maler, fachl. geringe Leistung, ›Pseudokünstler‹,
Kritik an real existierendem Sozialismus.« In Potsdam wird am 11. Oktober
notiert: »Bewerbung einer Person Eisermann am HOT liegt vor. Dieser kommt aus
Rostock, ist polit. negat. und Freund der Palfi (OPK ›Cabinet‹). Es wurde vom MA
[= Mitarbeiter] empfohlen diesen nicht einzustellen. Antwort [IM] ›Ernst‹ am
10.10.85 darauf: Die drücken mich so, ich glaube ich kann eine Einstellg. des
Eisermann nicht mehr verhindern. […] Vertragsangebot bis 30.6.86, Verlängerung
über IM ›Ernst‹ verhindern.« Am 29. November heißt es in der Tonbandabschrift
einer Aussage des IM »Ernst«: »Seit Monaten liegt dem HO-Theater eine Bewerbung
eines Rostocker Bürgers, Stefan Eisermann, vor. […] Es gibt Empfehlungen des
Ausstattungsleiters, Frank Hähnig, den Stefan Eisermann einzustellen, weil er
über große kunstgeschichtliche Erfahrungen und über eine große Waffensammlung
verfüge und seinerseits über große handwerkliche Fähigkeiten schließlich
verfügt, solche Geräte herzustellen, zu reparieren usw. Es gibt außerdem eine
Interessenbekundung der Leiterin der Abteilung Requisite, Evelin Friedrich.« (BStU
248/80)
1986
Eisermann arbeitet als Requisiteur am Hans-Otto-Theater in Potsdam. Am 3. Januar
notiert er in seinen Kalender: »2. Arbeitstag … Beginne mein erstes Bild
(Zauberflöte) – es gelingt.« Das Bild ist eine Reminiszenz an eine gemeinsam mit
Veronika Palfi besuchte Einführung in die Mozart-Oper.
Bei Irene Dietrich und Harry Mohr wird gemeinsames Aktzeichnen praktiziert,
wobei Eisermann ermutigt wird, nicht nach unerreichbaren fremden Zielen zu
streben, sondern seine eigene Art des Zeichnens mit kurzen Strichen zu
akzeptieren.
Die Kollegen im Theater setzen Ende Februar eine Eisermann-Ausstellung durch,
die in dessen Abwesenheit für eine Veranstaltung des Ministeriums für
Staatssicherheit noch einmal abgehängt und danach wieder aufgebaut wird. Darüber
heißt es am 24. März in einem Treffbericht mit IM »Ernst«: »Der
Ausstattungsleiter des HOT, Hänig, Frank, bedrängte den Intendanten, eine
Ausstellung von Bildern des Eisermann […] im Foyer des HOT zu realisieren. […]
Gegen den Widerstand des Kaderleiters Stüdemann setzte sich die SED-GO
[Grundorganisation] des HOT dafür ein. Diese Ausstellung sollte zu einer
MfS-Veranstaltung im HOT erstmalig gezeigt werden. Das verhinderte die Quelle.
Die ausgestellten Bilder tragen keinen polit. negativen Charakter. Diese sind
teilweise obszön und fachlich wenig gelungen.« (BStU 248/80) Eisermann notiert
am 2. April in seinen Kalender: »Erste Resonanz meiner Aquarelle im Foyer.
Chorsänger sprach mich an – fand gut. Große Freude!!«
Im Juli gemeinsame Reise mit Veronika Palfi durch Ungarn und die CSSR. Besonders
eindrücklich ist dabei der Besuch des Museums in Pécs mit der großen Sammlung
von Bildern des verehrten Kosztka Csontváry (1853–1919), in dessen Werk sich die
naive Malerei mit nachimpressionistischen und bereits mit expressiven Zügen
verbindet.
Eisermann beantragt in Rostock zum zweiten Mal die Aufnahme in den Verband
Bildender Künstler. Am 23. September notiert er in seinen Kalender: »Es ist
nicht zu glauben – aber erste Hürde geschafft – bin von Sektion VBK Maler +
Grafiker mit 4:4 Stimmen aufgenommen. Am 2.10. Abstimmung Vorstand – Nerven,
Nerven.« Über die Ablehnung durch den Vorstand heißt es dann am 2. Oktober: »Jastram
sprach vernichtend. Büttner lauwarme Fürsprache.«
Am 9. November Premiere des Stückes »Das Spiel vom Kaspar, der Königin
Tausendschön und der noch schöneren Prinzessin Schneewittchen« von Franz Fühmann
im Hans Otto-Theater. Davon wird ein Bild Eisermanns angeregt.
1987
Am 15. Januar Geburt der Tochter Theresa Palfi.
Klaus Freese reagiert in einem Brief vom 17. März auf die Verbandsablehnung:
»Stefan, als Lothar [Thierfelder] Freitag hier war, stellten wir zum
tausendstenmal fest, daß etwas faul sein muß, wenn Deine Bilder nicht von den
›Wichtigen‹ verstanden werden! Wir jedenfalls schöpfen ewige Freude an dem
Anblick Deiner Bilder und hoffen, daß Du nie aufgeben wirst.«
Erste Reise nach Gerbstedt im Harz, dem Heimatort Veronika Palfis.
Übergang zur expressiven Werkphase, in der auch in der Malerei zeichnerische
Elemente in den Vordergrund drängen. Neben dem Schwarz der Zeichnung sind meist
dunkle Farben beherrschend.
Am vorletzten Tag des Jahres ziehen Veronika Palfi und Stefan Eisermann in die
unmittelbare Nachbarschaft von Irene Dietrich und Harry Mohr. Mohr erinnert
sich: »Von 1987 bis 1995 wohnten wir mit Stefan Tür an Tür, und immer wenn er
ein Bild fertig hatte, kam er überglücklich zu uns, damit wir es uns anschauen
sollten, auch wenn es nachts um 1 Uhr war. Es war immer eine beiderseitige
Freude. Die Arbeiten hatten für unsere Begriffe eine heitere Note. Wenn wir es
ihm sagten, war er irritiert, weil er traurige, schmerzhafte Erfahrungen oder
auch Kritik ausdrücken wollte. […] Es fiel ihm schwer, unsere Interpretation zu
akzeptieren, und wir wollten oft seine Hintergrundgeschichten gar nicht, weil
wir mit dem, was wir sahen, zufrieden waren. [… Aber] seine Sehnsucht war,
verstanden zu werden.«
1988
In ihrem Geburtstagsbrief vom 13. April ergänzt die Mutter ihre Wünsche: »und
vor allen Dingen, dass Du in diesem Jahr das Erfolgserlebnis mit Deiner Malerei
die Aufnahme als Kandidat im VBK – haben wirst. […] Du hast so große
Fortschritte gemacht und dazu kommt noch ein solcher Mentor, wie Du ihn gefunden
hast. Da kann doch eigentlich gar nichts schief gehen.«
Am 12. Juni Premiere des frühen Brecht-Stückes »Baal« im Hans-Otto-Theater, das
Eisermann zu mehreren Werken anregt.
Gemeinsame Reise mit Veronika Palfi nach Ungarn.
Unterstützt durch die Empfehlungen der Mentoren Irene Dietrich und Hernando Leon
wird Eisermanns erneuter Aufnahmeantrag in den VBK am 4. November durch die
Sektion Malerei/Graphik und am 11. November durch den Hauptvorstand des Bezirkes
Rostock positiv beschieden. Eisermann hat den Antrag bewußt trotz seines
Potsdamer Wohnsitzes und gegen den Rat Hernando Leons in Rostock gestellt, um
der Auseinandersetzung nicht auszuweichen, sondern seine früheren Niederlagen
dort auszugleichen. In Leons Gutachten heißt es: »Eine beachtliche Dosis von
Vorstellungskraft und ein gewisser Grad von schöpferischer Unlogik gestehen
vielen seiner Werke einen Zauber und eine Magie zu, die mich seit den ersten
Begegnungen mit diesem schwei- genden Werk begeisterten.«
1989
Im Sommer Aufenthalt mit Veronika Palfi in Gerbstedt. Von dort aus Besuch der
Lyonel Feininger Galerie in Quedlinburg, wo ihn besonders Wassily Kandinskys
Komposition »mit gelben und blauen Dreiecken« beeindruckt, und der Ausstellung
»Expressionismus. Die zweite Generation« in der Staatlichen Galerie Moritzburg
in Halle.
Im August endet das Arbeitsverhältnis mit dem Hans-Otto-Theater.
1990
Die in Potsdam neu gegründete Galerie Trapez vertritt neben anderen Künstlern
auch Stefan Eisermann. Der Galerist Mike Gessner richtet ihm eine
Einzelausstellung ein.
Im März erschüttert der Freitod Max Kiesows den Freund tief. Es entsteht das
Bild »Guten Tag lieber Max«.
1991
Gemeinsam mit Evelyn Friedrich, Dietrich Richter und Veronika Palfi Reise durch
Elsaß-Lothringen. Ein hervorstechendes Erlebnis ist die Besichtigung des
Isenheimer Altars von Matthias Grünewald im Museum Unterlinden in Colmar.
Im Rahmen des von Rainer Sperl, Bernd Krenkel und Ralf Petsching initiierten
Projekts »Kunstdreieck« im Holländischen Viertel in Potsdam entsteht eine
Holzskulptur von Stefan Eisermann.
1992
Übergang zur expressiv-symbolischen Spätphase des Werkes. Die Farben werden
flächiger. Die Palette hellt sich auf. Ein freierer Vortrag und die Kombination
verschiedener Techniken bis zur Collage werden immer souveräner eingesetzt.
Gemeinsam mit Erik Bruinenberg, dem Ausstellungskurator im »Waschhaus« in
Potsdam, und den Künstlern Astrid Germo, Mathias Körner, Bernd Krenkel, Olga
Maslo und Jeanette Niebelschütz Reise nach Enschede in den Niederlanden. Im
Zusammenhang mit dem Ausstellungsprojekt »Post« Begegnung mit niederländischen
Künstlern.
Gemeinsam mit Mike Gessner, Bernd Krenkel und Jörg Schlinke Reise nach New York
in Zusammenhang mit einer Ausstellung mit Künstlern der Galerie Trapez.
Eisermann kauft eine Videokamera und dokumentiert damit kontinuierlich seine
unmittelbare Umgebung – Familie, Freunde, Kollegen, gelegentlich auch sich
selbst beim Malen.
Die Galerie Trapez präsentiert auf der ART Frankfurt Bilder von Mike Bruchner,
Stefan Eisermann, Mathias Körner, Bernd Krenkel und Olga Maslo.
Reise nach Kreta.
Gegen Jahresende beginnt die Reihe der Herzbilder als Reaktion auf den Aufkleber
auf vielen Autos »Ein Herz für Kinder«. Es reizt ihn, aus dem klischeehaften
Zeichen ein Symbol für Verletzbarkeit und Liebe zu entwickeln.
Im Winter gemeinsames Atelier mit Bernd Krenkel in der Kunstfabrik in Potsdam.
1993
Gemeinsam mit Veronika Palfi Reise durch Zypern, Israel und Ägypten.
Eisermann bekommt vom Brandenburgischen Verband Bildender Künstler eine
ABM-Stelle als technischer Leiter der Galerie im Staudenhof in Potsdam.
Die Galerie Trapez präsentiert auf der ART Frankfurt die New York-Bilder von
Stefan Eisermann.
1994
In der Galerie im Staudenhof Zusammenarbeit mit Thomas Kumlehn und K. C.
Wedemeyer.
Eisermann zieht sich mehr und mehr von der Galerie Trapez zurück.
Im Mai richtet Erik Bruinenberg im Waschhaus die erste Retrospektive »20 Jahre
Eisermann« ein.
Im Sommer gemeinsam mit Evelyn Friedrich, Dietrich Richter und Veronika Palfi
Reise über Österreich durch Italien. Es werden einige Stationen von Goethes
Italienreise nachvollzogen. Begegnung mit Werken von Giotto und Fra Filippo.
Im Oktober gemeinsam mit Thomas Kumlehn, Andreas Hüneke, K. C. Wedemeyer u. a.
Gründungsmitglied des Fördervereins für instabile Medien e. V., der versucht, den
Galeriestandort im Staudenhof zu retten. Mitarbeit bei den Umbauarbeiten der
Galerie.
1995
Im Januar äußert sich Eisermann in einem Gespräch zu seiner Malerei. »Sein
heutiger Malprozeß hat sich gewandelt, die Unbefangenheit früherer Jahre ist
verschwunden, der Prozeß konzentrierter und komplizierter geworden, […]
vielleicht summiert sich hier Lebenserfahrung.« (Berit Grötz, Stefan Eisermann,
Mit sich selbst seine Bilder malen)
Am 25. April Einweihung eines Andachtsraums mit vier Bildern von Eisermann im
Diakonischen Krankenhaus in Ludwigsfelde.
Am 30. April endet die ABM-Stelle beim Brandenburgischen Verband Bildender
Künst- ler. Eisermann ist von nun an arbeitslos. Der Vorsitzende des Verbandes,
der Maler Lothar Krone, schreibt am 14. 3. 1996 in einer Beurteilung: »Viele der
im Ausstellungsbetrieb ›normalen‹ Widrigkeiten konnten deshalb bewältigt werden,
weil Stefan als Künstler und Ausstellungsorganisator Einblicke in die Denk- und
Verhaltensmuster aller Beteiligten hatte. […] Dabei hat er seine eigenen
künstlerischen Ambitionen aus der Arbeit in der Galerie oder im Kontakt mit dem
Vorstand des BVBK ferngehalten. Ein seltener Fall von Uneitelkeit und
Hilfsbereitschaft.«
Arbeitsstipendium der Stiftung Kulturfonds, Berlin.
Bodypainting im Atelier mit Sabine Arnold als Modell und Susanne Müller als
Photographin.
Gemeinsam mit Irene Dietrich und Harry Mohr Reise nach Paris, wo besondere
Eindrücke von den Werken Édouard Manets und Pablo Picassos empfangen werden.
Veronika Palfi trennt sich von Eisermann, was eine tiefe Krise auslöst.
Gemeinsam mit Erik Bruinenberg und Ralf Petsching Reise nach Barcelona, wo die
Bauten Antonio Gaudis beeindrucken. Besuch des Geburtsortes von Salvadore Dalí
und eines Stierkampfs.
Ab 9. Dezember Aufenthalt in Rostock, um den schmerzhaften Erinnerungen zu
entgehen. Es folgen Enttäuschung, Vereinsamung und Depressionen.
1996
Am 21. Juni auf Veranlassung und mit Unterstützung von Freunden wie Erik
Bruinenberg und Ralf Petsching Rückkehr nach Potsdam und Umzug nach Babelsberg.
Gemeinsam mit Ralf Petsching Autoreise nach Italien – Bergamo, Venedig, Rom,
Florenz, Livorno.
1997
Mit Erik Bruinenberg Besuch bei den Künstlern Rafael Rheinsberg, Michael Timpson
und Armando. In Amsterdam intensive Begegnung mit dem Werk Vincent van Goghs.
Ab September Wohnung in der Tuchmacherstraße 11 in Potsdam-Babelsberg. Der
positive Einfluß dieses Umzugs auf das Befinden Eisermanns wird in seinen
Kalendernotizen deutlich. Nach Eintragungen vom Jahresanfang, wie »manchmal
denke ich, Veronika geht mit Theresa in die USA … (nicht auszudenken)« (5.
Januar) oder »hin u. hergeplaudert – eigentlich sind alle tot und wollen leben!
ich eingenommen!« (9. Januar) heißt es nun »fange an, mich wohl zu fühlen.
endlich ein Ausgangspunkt. Ich hab Glück gehabt. Die Wohnung und die Leute sind
gut.« (13. September) und »jeden Morgen frühstücke ich im Atelier – es ist schön
aus dem Fenster in den Garten zu schauen.« (5. Oktober). Bald aber deuten sich
wieder Probleme an: »in Rostock. Lebenspyramide unvollständig. Ernährung +
Krebsforschung [Pyramidenzeichnung]« (11. Oktober) oder »alles was ich noch
packe ist … mit großer Präzision das Glas (Wein) an den Mund zu bringen … nach
langer Enthaltsamkeit … außerdem bin ich völlig aus der Bahn.« (16. Oktober).
1998
Es entsteht eine beeindruckende Reihe von Gemälden, die von den Kalendernotizen
konterkariert wird: »Arbeitsamt […]. Große Angst.« (28. April); »ich trinke um
zu überleben, oder?« (29. April); »ich halte es nicht mehr aus.« (18. Juni);
»Verdacht auf Herzinfarkt. Mit Krankenwagen ins Franz-Josef-Krankenhaus« (15.
Juli); »EKG mit Belastung, Dr. Angerstein.« (28. Juli); »ich denke zuviel nach
über Dinge, die mir nicht guttun. Mein zustand ist katastrophal! Depressionen,
Schlaflosigkeit, Augenflimmern und Zuckungen im Oberkörper während des
Schlafprozesses.« (5. August).
Am 8. September wird nach einer Operation im St. Josefs Krankenhaus in Potsdam
die Krebsdiagnose gestellt.
Am 12. Oktober stirbt Stefan Eisermann in Potsdam.
Irene Dietrich, die gemeinsam mit dessen Tochter Mandy den Kranken betreut,
erinnert sich an den letzten Tag ihres Bruders Stefan Eisermann: »Am Montag, dem
12. Oktober schien die Sonne. Wir drehten dann das Bett, so daß sein Blick in
den Raum zu seinen Bildern und durch die Fenster in die herbstlich sonnige
Straße gehen konnte. Er war den ganzen Tag wach, konnte aber nicht mehr
sprechen. Aber er verstand uns. […] Um 19 Uhr starb er. Seine von Krankheit
verzerrten Gesichtszüge entkrampften sich, und er bekam einen entspannten, fast
ironisch lächelnden Ausdruck.«
Am 30. Oktober erfolgt die Beisetzung auf dem Neuen Friedhof […] Die Trauerrede
hält Michael Wegener. |
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