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Bildbestimmungen bei Stefan Eisermann
Erst im Alter von 31 Jahren begann Stefan Eisermann Ende 1974 – damals lange
Jah- re als Maschinenschlosser tätig – autodidaktisch zu malen. Und mit dem Überwech- seln als Techniker an die Kunsthalle Rostock verband er fünf Jahre
später die Hoff- nung, seinem Ziel – als freischaffender Maler zu wirken –
einen ersten, kleinen Schritt näher zu kommen. Am Anfang jedenfalls gab
seine Schwester, die Bühnenbildnerin und Malerin Irene Dietrich, den Anstoß,
statt der »Laubsägearbeiten« es mit Malerei zu probieren. Die frühen Bilder
wirken wie ein kindlicher Zauber, naiv in der Sicht und träumerisch in der
Bildordnung, aber witzig im Zugriff. Sie erzählen in ungebrochener Weise;
ihrer Natur nach sind sie jedoch keine »Ablesebilder«, zeigen statt dessen
be- reits malerische Eigenheit und Bildgewißheit. Gleichwohl liebte es der
Maler stets zu seinen Bildern Geschichten »beizubringen«, allerdings kaum
als Erklärung, denn viel- mehr im Sinne von Initialzündung und
Bildhintergrund.
Die Malfläche birgt Weltoffenbarung im Kleinen, wie sich z.B. auf dem Bild
»Süd- stadt« (1976, WV 23) das Neubauviertel illuster in die Landschaft
schiebt, zu Baum- reihe, Sonne und Wasser. Und zugleich scheint auf der Wiese
im Vordergrund eine kleine Hochzeitsgesellschaft »versteckt«. Es sind die
unmittelbaren Dinge und Bege- benheiten, die den Griff zum Pinsel bewirken und
den Maler auch zu symbolischen Er- findungen, etwa aus der Zirkuswelt, führen.
Das offenbaren Bilder wie »Generaldi- rektor Koch« von 1976 oder »Waschhaus –
Genossen« aus dem folgenden Jahr.
Eisermanns naiver Blick ist dabei
keineswegs einseitig, schönfärberisch, sondern der Maler setzt dem
Ungelenken und Komischen eine Pointe auf. So im letztgenannten Gemälde, wo
in der blumigen Atmosphäre des Direktorbüros neben rot prangenden Losungen
über der Tür die Spruchtafel hängt: »Wer gehen will/kann gehen!«. Im
idyllfarbenen Zimmer spielt sich eine Szene der Schuldzuweisung ab: Zwei
Assistenz- figuren zeigen mit strenger Geste auf den am Tisch Sitzenden hin.
Vielleicht befindet sich da der Künstler gar selbst im Kreuzfeuer. Eine
spannungsvolle Verschränkung von Beziehungen, die in Eisermanns Bildern
nicht selten, allerdings oft in verdeckten, sich immer wieder wandelnden
Formen wiederkehrt. Es scheint mir eine Grundformel, die ihn zum
Bildermachen treibt, um in leiser ironischer Brechung wie freudvoller
Ver- arbeitung eine andere Sicht, nämlich die von außen, zu gewinnen.
In der Kunstlandschaft DDR steht der Künstler nicht allein, im Gegenteil
suchten ge- rade in den 70ern viele Autodidakten ihren Zugang zur Kunst. Und
das Vorbild für viele: Albert Ebert, der allerdings einen umgekehrten Weg
gegangen war, zunächst zum Studium und dann zum Naiven »zurückfand«. Man
kann schon von einer regel- rechten »naiven« Mode sprechen. Anders bei Stefan Eisermann, dessen künstle- risches Vermögen sich nicht an einen Stil klammert,
sondern über die Jahre ent- wickelt.
Spätestens mit Beginn der 80er ist er aus dem Status eines Hobbymalers, der
an- fangs seine Rahmen noch selbst aus Suralin bastelt, herausgetreten. Die
ernsthafte Absicht zeichnet sich nicht zuletzt in der wachsenden Zahl von
Werken ab. 1983 be- ginnt er mit seinem Verzeichnis »S.E. – Bilder« (1),
manchmal fast tagebuchartig an- gelegt, oft mit genauer Datierung. Als letzte
stehen dort vier Herzbilder, die zum Teil unvollendet geblieben sind.
Mit dem Gemälde »Die Frau mit Hund und Schwan« bewirbt sich Stefan Eisermann 1982 beim Rostocker Bezirksverband Bildender Künstler – und wird
abgelehnt. Kolpor- tierte Kommentare von Kommissionsmitgliedern notiert der
Künstler bitter ironisch auf der Bildrückseite: »Gug dir doch mal diesen
Flatsch (die Nackte) an, […]«. Es war sein Kampf gegen Ablehnung und
Vorurteil, den er über Jahre durchstehen mußte, bevor 1989 erste Werke in
»offiziellem« Rahmen aufgenommen wurden (2). Das Prin- zip, auf der Rückseite
der Bilder Notizen zu machen – den Titel und dessen Verände- rung, Datierung,
sowie Stichworte zu Arbeits- bzw. Lebensumständen u.ä. – prakti- zierte er
fast von Anfang an. Dadurch lassen sich Stufen der Überarbeitung ebenso
rekonstruieren, wie manch (seelische) Verfaßtheit, unter welcher das Werk
entstand – was für mich deutliche Belege dafür bietet, wie nah dem Maler die
eigenen Bilder stehen, ja, daß sie eine Art Begleitspur bilden.
1979 führt der Malerfreund Harry Mohr Stefan Eisermann in die Radiertechnik
ein.
Diese kommt zunächst seiner Intention entgegen, denn Eisermann versucht
immer mit wenigen Strichen die Situation zu erfassen. Im Kugelschreiberblatt
»Die große und die kleine Sängerin« zeigen sich Ansätze in der Suche nach
prägnantem Linien- stil, fort von erzählerischer Kleinteiligkeit und
nachtastender Spur. Die Druckgrafik beschäftigt ihn noch eine gewisse Zeit,
doch Pastell und Kohle ziehen ihn schließlich mehr und mehr an, denn Ende
der 80er Jahre vermag er seinen Strich kräftig zu ent- falten.
Ein gutes Beispiel jenes expressiven Stils zeigt das Bild Ȇberfall von
oben« (1989), nicht zuletzt deshalb, weil wir hier sowohl eine
Federzeichnung besitzen, als daß sich auch auf der Rückseite der Arbeit
selbst eine Anlage der Komposition befindet. Die Schnelligkeit der Feder,
welche Kleckse und Fleckenbildung mit einbezieht, zeigt eine frische,
andersartigere Herangehensweise als bislang. Hier hat sich der Künstler frei
machen können. Mit der kleinen Arbeit »Ute«, spricht sich dies Zupackende
hart und kritzlig, als karikaturhafte Notiz aus.
An Skizzen und Zeichnungen, zum Großteil als Vorarbeiten zu Malereien, sind
noch gut einhundert Blätter im Nachlaß erhalten. Für Eisermann bedeutet
zeichnerische Er- kundung einer Bildidee immer auch die – oft bezeugte –
selbstquälerische Herausfor- derung, jene Frische und Lebendigkeit ins
Malgeviert zu übertragen.
Aber seine Malereien müssen dem Schichtungsweg folgen: Fast jedes Bild
trägt zwangsläufig Überarbeitungs- und Verdichtungsspuren als Insignien
eines Zwei- kampfes mit sich. In intensiven Momenten gelingt dem Künstler,
dies zu seinem Stil gerinnen zu lassen, wie im Gemälde »Der Tierpräparator
lädt ein« (1989). In ver- schiedenen Strich- und Farblagen wird Raumstruktur
gebildet und die Figuren er- scheinen förmlich hineingewoben. Dabei bedient
sich Stefan Eisermann spitzer Farb- setzungen und splittriger Formen, die den Einfluß des Brücke-Expressionismus erken- nen lassen (3).
Als Beleg dafür
steht das Blatt »nach Schmidt-Rottluff« von 1990 (4). Mit knapp ge- setzten
Linien ertastet er die Kürzungen und Schwünge des expressionistischen
Wer- kes. Wie schwer ihm das gefallen sein muß, offenbart eine Randbemerkung,
außerhalb des abgegrenzten Bildfeldes rechts unten: »Verzweiflung!«.
Die Szene im Präparatorenstudio erscheint seltsam verschränkt: in der Mitte
auf ei- nem Tisch Flasche, Tierpräparat und Eule, links zwei weibliche Akte im
Raum von ei- ner Staffelei bedrängt und rechts ein Mann mit nacktem
Oberkörper. Hat sich der Maler selbstbelustigend und zugleich melancholisch
gestimmt als »Präparator« gese- hen? Daß ihm die Bilder nur zum stumpfen
Abglanz des Erlebten geraten? Nicht selten dienen ihm Bildfiguren
offensichtlich oder andeutungsweise als symbolische Stellver- treter für seine
eigene Existenz, wobei gerade die Exotik von Zirkus, Varieté und In- dianern
sehr anziehend auf ihn wirkt.
Eine Serie von übermalten Postkarten sowie teilweise darauf basierende
abstrakte Kompositionen von 1989/90 markieren einen wesenhaften Bildschritt
im Schaffen (5). Auffällig für mich ist zunächst diese Konzentrierung auf
das Kleinformat. Und das ge- nau in den Zeitumbrüchen. Teils Landschaftliches,
»Alter Turm, eingedeckt«, teils Dingliches »Waschmaschine, untergetaucht«
verwandelt sich in Linienbündeln zu geometrischen Motiven. In dichten
Strichlagen gewinnt der Linienstil der späten 80er Jahre eine Stärke, die
mit wenigen Grundlinien auskommt und denen sich reduzierte Farbakzente
zugesellen. Dem Ideal des knappen Striches scheint der Künstler hier ein
Stück näher. Daß alle mit Passepartout und schmalem Goldrand versehen sind,
zeigt, wie wichtig ihm die Stücke waren.
Derartige Suchbewegungen nach kompositorischer Straffung und Klarheit
münden mit den Folgejahren in die Serie der Herzbilder (ab 1992), die mit
geradezu ornamentaler Formabsetzung und Farbfeldern den Blattgrund füllen
(6). Anderes führt Anfang der 90er Jahre mit der Collagetechnik ebenfalls in
den Bereich der Farbflächen. Wenn das Zueinander ausgespielt und genügend
gefestigt erscheint, kann solch eine Papier- arbeit als Kompositionsgrund für
die Malerei dienen. Manchmal ganz direkt, indem Tei- le eincollagiert werden,
oder indirekt, wenn in Papier geschnittene Umrisse in die Ma- lerei
Übertragung finden.
»Totem« ist ein Gemälde aus dem Jahre 1993 betitelt. Links ein großes
grünes Herz, in dem oben einige Nägel stecken, rechts ein Stamm mit angepieksten Herzen, darü- ber drei rosa-gelbe Nägel. Das Ganze mutet an, als
stünde es in einer Anbetungs- ecke, sorgsam aufgerichtet. Der Maler beschreibt
und »beschwört« damit indirekt ein wenig jenes alte Verfahren, das dem
Aberglauben entsprang: Man könne sich der Liebe vergewissern, wenn man
symbolisch das Herz bannt oder jemanden töten, wenn man es durchsticht. Eine
uralte magische Praxis. Vielleicht hat Stefan Eiser- mann mit dieser Findung
am deutlichsten seine ambitionierte Verwendung des Herz- motives über einige
Jahre hin herausgestellt. Er selbst sieht es wesentlich nüch- terner, wenn er
schreibt: »Mich interessierte die vielschichtige Bedeutung, die große
Differenz des Symbols, die sich aus der Behandlung mit unterschiedlichen
Farben ergeben.« (7)
Mit der hierin gewonnenen Gestaltungsklarheit wird die letzte Werkphase
eingeläutet, die etwa um 1995/96 beginnt. Auffällig ist, daß der Künstler
seine Bilder im Grund oft genau aufgliedert, um von dieser Anlage
abzuspringen im schichtweisen Freimalen. Doch bald werden die Farben immer
fleckenhafter aufgetragen, bis sie schließlich, zu- nächst aus motivischen
Gründen, Farbnasen und -verläufe ausbilden. Was zunächst als Störung anmuten
mag, offenbart auf den zweiten Blick die Ausdruckssteigerung.
»Die schöne
Frau« vom 8.5.1998 trägt jene Aufbruchsspuren der offenen Farb- setzung und
des Herunterlaufenlassens. Im Bildzentrum orangerot ein Frauenkörper mit
Sonnenkopf, links davon, durch Übermalung entstanden, eine weiße Fläche, die
Ahnungen einer darunter liegenden Figur (mit Herz?) aufkommen lässt, rechts
eine grüne (Wiesen-)Fläche und oben der Himmel in Tiefblau, gelb von der
Sonne über- strahlt. Doch braune Farbnasen ziehen sich beinahe wie Tränen über
die Komposition. Was hoffnungsfroh aufleuchtet, wird im nächsten Malgang
überarbeitet. Rückseitig finden wir folgende Worte: »Sie – U. – hat mich
verlassen – gerade als ich mich auf sie eingelassen habe.« Darunter ein
Herz.
Die Figurationen der Serie »Gefallene Männer«, hier mit der »Nr. 6:
Feldherr« (1997) vertreten, wirken wie groteske Schattengestalten. Eine
Mischtechnik mit Collagetei- len findet dabei Anwendung. Teils wird die Farbe
zum flächigen Ausdruck gespach- telt, teils aber auch vertropft oder
verspritzt. So entfalten sich reiche Binnenstruk- turen. Mit blau-orangener
Spitzmütze, die eher einem Clown würdig wäre, ist der Herr ins Bild gerückt.
Seine Hand greift gierigrot nach einem Zigarillo, wohingegen das Ge- sicht
fahl, ja fast farblos erscheint. Läßt sich darin vielleicht ein sarkastisch
gespie- geltes Selbstbild als Gescheiterter erkennen?
»Mein liebes Herz« zählt in die Reihe jener bereits erwähnten vier
Herzbilder, die der Künstler als letzte Position in seine Kladde eintrug.
Eigentlich 1993 begonnen, wurde es 1998 überarbeitet, um kompositorische
Festigkeit neu zu bestimmen: ein beinah geometrisches Aufführen rechteckiger
Flächen, in deren Mitte weiß die Zentralgestalt ruht. Die angelegten
Grundlinien blieben teils sichtbar, denn der Überarbeitungs- prozeß steckt in
vollem Gang. Bis zuletzt war der Künstler unzufrieden damit – es bleibt
unvollendet.
1 Das handschriftlich geführte Buch ist eigentlich 1980 als Besucherbuch
für seine Ausstellung im Museumscafé der Kunsthalle Rostock angelegt worden.
– Danach beginnt der Künstler sein nach Jahreszahlen geführtes Verzeichnis.
Stellenweise vermerkt er darin Kommentare auch anderer zu seiner Kunst. Es
befindet sich im Nachlaß des Künstlers.
2 Vergleiche den Katalog: zu den beiden Ausstellungen:
Bezirkskunstausstellung. Erste Quadrien- nale. Zeichnungen der DDR. Verband
Bildender Künstler der DDR, Museum der bildenden Künste, Leipzig 1989, Abb.
S. 31.
3 Vergleiche
Beitrag von Andreas Hüneke
4 Nach dem Holzschnitt »Akte unter Baum« (1913)
5 Eine kleine Auswahl davon wurde neben den darauf fußenden großen farbigen
Arbeiten erstmals 1992 in der Galerie Trapez, Potsdam, ausgestellt.
Vergleiche dazu den begleitenden Katalog.
6 Wie Anm. 3, S.22 – Verwiesen sei in dieser Hinsicht auch auf das vom
Künstler sehr häufig ver- wendete Bildgeviert: ein fast quadratischen Format,
und stets wurde ein Bildrand innerhalb dieses Formates festgelegt.
7 Stefan Eisermann, Bewerbung für ein Stipendium der Stiftung Kulturfonds
Berlin, Typoskript von 1994 im Nachlaß.
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